Der Kühlerinfarkt
Alte DKW und deren Fahrer, besonders wenn auch letztere schon nicht mehr gerade zum "Nachwuchs" gehören, plagt häufig dasselbe Problem: die Verkalkung ihres Röhrensystems.
Nicht immer waren DKW und Fahrer in der Vergangenheit unter idealen Lebensbedingungen unterwegs: Mensch und Maschine wurden bisweilen Nahrungs-, Genuss- oder Betriebsmittel zugeführt, die ihnen besser nicht hätten eingefüllt werden sollen.
Auch wenn die Bedienungsanleitung Regenwasser für den Kühlkreislauf wärmenstens empfahl, müssen wir davon ausgehen, dass aus Bequemlichkeit oder aus der Not heraus, weil es gerade nichts anderes gab, gelegentlich auch "hartes" Leitungswasser aus der Kanne einer Tankstelle im Kühler landete.
Resultat: Kalkablagerungen.
Das Gesetz von Hagen-Pouseuille
Zu der Überlegung, dass durch einen dünneren Gartenschlauch weniger hindurch fließt als durch einen dickeren, brauchen wir keine Physik, sondern nur den gesunden Menschenverstand. Aber mit diesem gesunden Menschenvestand bleibt uns der volle Umfang der Dramatik leider verborgen.
Der Zusammenhang war schon Ende des vorletzten Jahrhunderts bekannt (Naturgesetz von Hagen-Pouseuille - dieses beschreibt die laminare Strömung in einem Rohr), aber er ist den meisten von uns nicht bewusst (fatalerweise, wie wir jetzt sehen werden):
Wenn eine Leitung durch irgendeinen Umstand verengt wird (z.B. durch Kalkablagerungen), so verringert sich die Durchflussmenge mit der vierten Potenz.
Was bedeutet das?
Wenn eine Verengung 10% beträgt, dann ist der verbleibende Querschnitt 90% oder 0,9 vom Grundwert. 0,9 zur vierten Potenz ergibt laut Taschenrechner 0,6561 oder in Prozent ausgedrückt 65,61%. Wenn also ohne Verengung 100% einer Flüssigkeit strömten, bleiben davon mit einer Verengung um 10% auf restliche 90% nur noch erbärmliche 66% übrig.
Jede weitere Verengung wirkt sich katastrophal aus, wie die nachfolgende Tabelle
deutlich macht:
Durchmesser |
Verengung |
Durchflussmenge |
Durchflussminderung |
100% |
0% |
100% |
0% |
90% |
-10% |
66% |
-34% |
80% |
-20% |
41% | -59% |
70% | -30% | 24% | -76% |
60% | -40% | 13% | -87% |
50% | -50% | 6% | -94% |
40% | -60% | 3% | -97% |
Wir sehen, dass schon kleine Verengungen dramatisch wirken und bereits 20% Ablagerungen nur noch weniger als die Hälfte vom Durchfluss passieren lassen. Schnell geht es Richtung "nichts" - kleine Ursachen haben große Wirkung!
kleine Ursache - fatale Wirkung
Wenn bereits ein Blick durch den abgenommenen Kühlerverschluss im Schein einer Taschenlampe weißgrauen Kesselstein auf dem Inneren der Kühlerlamellen bzw. -waben erkennen lässt, dann ist natürlich überall im Kühler mit solchen Ablagerungen zu rechnen - auch in den vielen feinen Kanälchen!
Was diese Ablagerungen dann anrichten, ist im Kapitel Wärmehaushalt erklärt, und wie dick diese auftragen, können wir nur raten, da die weißgraue Schicht so im bloßen Augenschein kaum Rückschlüsse auf ihre Dicke zulässt.
Der Schmetterlingseffekt...
...bezeichnet die hohe Empfindlichkeit eines Systems gegen winzige Veränderungen - anders ausgedrückt, wie der berühmte letzte Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt.
Genau das passiert, wenn sich im Kühler Kalk abgelagert hat. Zu der Verengung und der damit verbundenen Durchflussminderung kommt der schlechtere Wärmeübergang noch dazu. Wir können also sagen: schon kleine Kalkablagerungen werden zu einer spürbaren Verschlechterung der Kühlung führen.
Eine Weile lang kann das relativ eigenstabile Thermosiphon-System dieses Problem noch ausgleichen, aber irgendwann ist die letzte "Nuance" Kalk dazu gekommen, die das System instabil macht und zum Umkippen bringt.
Und damit zu einer immer häufigeren Gefahr des Überkochens führt.
aber es klappt auch anders herum
Im Umgekehrschluss gilt nämlich auch: ebenso winzige Verbesserungen im (geschädigten) System können bereits kleine Wunder wirken!
Anfangs lässt sich noch mit einfachen therapeutischen Maßnahmen am Symptom herum kurieren, z.B. durch
Verzicht auf Frostschutzmittel, aber eine längerfristige Heilung ist damit nicht mehr zu erreichen.
Haben sich also beim prüfenden Blick durch die Einfüllöffnung des Kühlers Kalkablagerungen schon gezeigt, wäre als erstes über eine Entkalkung nachzudenken. Bestimmte Säuren können den Kalkstein praktisch vollständig auflösen und das blanke Kupfer wieder zum Vorschein bringen. Vor mutigen Experimenten ist hier aber eher zu warnen, speziell wenn ein historisches Kleinod auf der Werkbank liegt oder vor uns in der Garage steht.
Außerdem wirken die Säuren auch im Rest des Kühlsystems und greifen das Eisen des Motors, die Kopfdichtung und die Schlauchstutzen aus Aluminium von innen bösartig an!
Vorsicht ist sowieso angebracht, denn alte Kalkablagerungen können auch ihr Gutes haben und feine Risse oder Lecks nicht selten abdichten. Wenn in solchen Fällen Kalkentferner diese "Dichtungen" auflösen, kann der Kühler zwar plötzlich wieder kühlen wie frisch aus der Fabrik, verliert aber nun Wasser. Das Problem: mit einem schlecht kühlenden Kühler kann man noch (zwar unkommod) fahren, mit einem undichten Kühler aber nicht!
So ist es mir und meinem F5 passiert: neben schlechter Kühlleistung war bereits eine (verdächtige) Stelle aufgefallen, an der das Kühlernetz ständig feucht war - regelrechter Wasserverlust war aber noch nicht festzustellen. Nach einer Kühlerreinigung in einem Fachbetrieb (Kühlerservice) war trotz gleichzeitiger Lötung einer kleinen Leckage der Kühler plötzlich zum Fass ohne Boden geworden: was oben rein gegossen wurde, lief unten wieder heraus.
Der gute Rat...
In solchen Situationen (wir sprechen vom Thermosiphon-Kühlprinzip der DKW-Frontwagen und ihrer gesamten "Verwandschaft") sollte der nächste Gang oder die nächste Fahrt zu einem Kühlerservice gelenkt werden, der sich auf alte Kühler versteht und mit historischen Autos Erfahrung hat.
Davon gibt es noch einige in Deutschland, aber sie sind nicht unbedigt um die Ecke 'rum. Ich war mit meinem Kühler bei AKS Dommermuth in Mülheim-Kärlich und bin kompetent bedient worden, ein Freund von mir berichtete von guten Erfahrungen mit "Kühler Nussbaum" in Bad Langensalza. Aber es gibt noch einige mehr, siehe Internet.
Von Selbsthilfe an wirklich alten Kühlern, die es nicht mehr zu kaufen gibt, sei dringend abgeraten: ich hatte ein kleineres Loch an meinem Kühler zwar mit Erfolg selbst gelötet, aber bei einer weiteren, versteckten Leckstelle hatte ich keine Chance: in diesem Video wird deutlich, wie viel Übung und Erfahrung nötig ist, um einen Kühler fachgerecht zu reparieren.
Am Ende hatte ich Glück meine (vorsichtigen) Reparaturversuche hatten keinen Schaden angerichtet und ein komplett neues Netz blieb mir erspart! So konnte mein alter Kühler, hergestellt am 21.10.1936, mit seinem charakteristischen und unwiederbringlichen Bienenwabenmuster erhalten bleiben (manche Kühlerdienste ersetzen die alten und originalen Bienenwaben durch neuere und kostengünstigere Lamellen-Netze, manchmal sogar aus Aluminium).