Nach dem Krieg konnten Autos nicht so einfach zugelassen werden: wenn sie der Volkswirtschaft oder der Versorgung der Bevölkerung dienten, dann ja, ansonsten gab es ja das Fahrrad oder die Eisenbahn. Falls diese überhaupt fuhr, denn zahlreiche Bahnhöfe, Brücken oder Stellwerke waren durch den Krieg zerstört.
Insofern blieb es erst einmal bei der Regelung, wie sie bereits während des Krieges galt: privater Autoverkehr war kaum möglich.
Soldaten standen auf der Straße oder saßen in Gefangenschaft, den Arbeitgeber "Wehrmacht" gab es nun nicht mehr. Für den Besitzer des kleinen DKW war die Gefangenschaft schnell vorbei, schon am 20. Mai 1945 ging es heim nach Neuwied am Rhein, denn der ehemalige Soldat war inzwischen verheiratet.
Bald gab es für den gelernten Schlosser Arbeit, denn Deutschland musste wieder aufgebaut werden. Auf ihn und seinen Wagen warteten allerlei Aufgaben.
Schnell fand sich eine Anstellung bei dem Opel-Händler Wirtz in Neuwied, der einen Schlosser dringend brauchen konnte: der Stundenlohn betrug 49 Pfennige. Wegen der Benzinknappheit wurden einzelne Kundenfahrzeuge mit Holzvergasern der Marke Imbert nachgerüstet, und die Anfertigung von Haltern, Trägern, Rohrleitungen und Konsolen zum individuellen Einbau für die jeweiligen Fahrzeuge war Schlosserarbeit.
Aber noch immer war der DKW zur Untätigkeit verdammt. Zum Fahren bedurfte es einer Sondergenehmigung der französischen Militärregierung, und die war ohne triftige Gründe nicht zu bekommen. Fabrikanten, Landwirte und selbständige Handwerksmeister waren fein heraus: sie waren für die Versorgung wichtig. Aber ein einfacher Schlosser?
Die Katze biss sich in den Schwanz: ohne Fahrzeugzulassung keine Selbständigkeit, ohne Selbständigkeit keine Fahrzeugzulassung!
Auf der anderen Rheinseite von Neuwied liegt Andernach, wo es damals gleich drei Malzfabriken gab. Der Direktor der größten dieser drei Malzfarbiken war promovierter Jurist, und kreative Lösungen waren gefragt. Der Jurist wusste sofort Rat, wie die französische Verwaltung aufs Kreuz zu legen war: der Direktor der Fabrik setzte einen Vertrag mit dem Besitzer des kleinen Autos auf, nach dem sich die Fabrik das Auto auslieh und so zum Straßenverkehr anmelden konnte. Als Gegenleistung durfte der Autobesitzer ab und zu mal mit seinem eigenen Auto fahren. Derlei Geschäfte gab es viele in dieser schwierigen Zeit.
So kam es, dass der DKW am 3. Sept. 1947 - nach einer ungefähr acht Jahre langen Zwangspause - auf die Firma Friedrich Weißheimer beim zuständigen Landratsamt in Mayen in der Eifel angemeldet wurde. Die eilfertigen Beamten hatten bei Vorlage des Fahrzeugbriefes Wichtiges zu erledigen: in den Stempeln früherer Eintragungen wurden mit Tinte alle Hakenkreuze fein säuberlich ausgemalt, damit man sie nicht mehr sieht. Schwamm drüber!
Später aber verblasste die Tinte, und die Hakenkreuze waren wieder da. Wie im richtigen Leben.
Ein Jahr später, am 27.10.1948, konnte das Auto wieder auf den Namen des Eigentümers angemeldet werden. Er brauchte den Wagen zur Existenzgründung und fuhr noch mehr als zehn Jahre lang damit. Die Geschäftsidee war eine Spezialwerkstatt für Autoelektrik: ein Elektrodienst für Kraftfahrzeuge.
Zusammen mit einem Kollegen, der den Meisterbrief für das noch junge Fachgebiet der Autoelektrik hatte, ging es an die Arbeit. Lichtmaschinen und Anlasser waren zu reparieren, Beleuchtungen auf neue Vorschriften der StVZO anzupassen und es mussten Batterien instand gesetzt werden - Ersatzteile waren kaum zu bekommen.
Zur Batteriereparatur wurden eigene Werkzeuge und Lehren konstruiert: ein vestellbares Gerüst zur Herstellung aller vorkommenden Plattensätze in Autobatterien, ein Gestell für einen Lichtmaschinen-Prüfstand mit einem 3-PS-Elektromotor und einer Doppelspindel mit zwei Handrädern aus einem zerstörten Flak-Geschütz zum Aufspannen der verschieden großen Lichtmaschinen.
Irgendwann unternahm der Besitzer des kleinen DKW eine große Reise nach Hannover, um einen Lieferanten für Ersatzteile von Autobatterien zu gewinnen.
Als es dunkel wurde, sorgten die 6-Volt-Scheinwerfer mit 25(!) Watt für fahles Licht mit begrenzter Reichweite. Mit seinen 18 PS war der kleine Zweitakter spätestens bei 85 km/h am Ende seiner Kräfte, entsprechend langweilig muss diese Fahrt gewesen sein! Vollgas war tabu und bei Steigungen ging dem kleinen Motörchen die Puste natürlich noch viel früher aus.
Vor allem die Steigungen auf der A1 quer durch das Bergische Land und später auf der A2 am Rand des Weserberglands dürften das Tempo in die Knie gezwungen haben.
Die Autobahnen waren damals leer, der Fahrer orientierte sich an der Längsfuge zwischen den zementgrauen Betonplatten der rechten und der linken Fahrspur und nahm sie zwischen die Räder. Mit müden Augen muss er der schwarzen Leitlinie aus Gussasphalt entlang gefahren sein, bis die schwarze Fuge allmählich breiter wurde. Bald handbreit, um mit der Zeit sogar noch mehr Raum einzunehmen und vor den Scheinwerfern in tief glänzendem Schwarz schon die ganze Straße zu bedecken.
Vom Traumerlebnis heimgesucht schreckte der Fahrzeuglenker hoch und begriff, dass er am Steuer eingeschlafen war. Noch früh genug konnte das Verlassen der Fahrbahn verhindert und eine Pause eingelegt werden.