September
Kirch... was?
Kirchhundem! Wo zum Henker liegt dieser Ort? Böse Zungen könnten behaupten, man könne nicht mehr fern sein vom höchsten Berg der Niederlande, denn die Häufung gelber Nummernschilder lässt in der Tat vermuten, dass die Region bei unseren Nachbarn aus dem Land der Tulpen, Käsespezialitäten und Windmühlen als Ferienziel sehr beliebt ist. Jedenfalls fand das Herbsttreffen des Deutschen DKW-Club dieses Jahr im Rothaargebirge statt, ganz ungefähr gesagt da, wo Lahn, Sieg und Weser ihre Quellen haben.
Das Rothaargebirge gehört zum rheinischen Schiefergebirge und stellt die Wasserscheide zwischen Rhein und Weser dar, ihr höchster Punkt ist der Langenberg mit 843 Metern über dem Meer. Das Rothaargebirge hat nichts mit der Farbe rot und schon gar nichts mit roten Haaren zu tun, sondern mit dem alten deutschem Vokabular „rood“ und „Hardt“, und bedeutet „gerodeter Bergwald“. Inzwischen schien dieser aber wieder nachgewachsen zu sein.
Anreisetag
Für den 30. September hatte die Wetter-App auf dem Smart Phone Regen vorhergesagt, aber für Samstag und Sonntag war Besserung versprochen.
Der Zollstock ließ noch 24 Liter Kraftstoff im Tank vermuten, und ein Blick zum teilweise blauen Himmel strafte die Wetter-App Lügen. Also Klamotten in den DKW, Werkzeugkiste und zwei Reservekanister in den Kofferraum, Zündschlüssel rein, Zündung an, Choke raus und Anlasser Marsch!
Um 16:00 Uhr war es im Rheinland noch angenehm warm; ich beschloss deshalb offen zu fahren und setzte mich nur in einem luftigen Hemd und mit Schlägerkappe bewaffnet ans Steuer. Bei Wied im Westerwald nötigte mich eine Steigung erstmals zum Gebrauch des ersten Gangs, strapazierte die Geduld des nachfolgenden Freitagsverkehrs und verleitete den einen oder anderen Nachfolger zu lebensgefährlichen Überholmanövern.
Gehörigen Respekt hatte ich vor Betzdorf, wo mich 14% Gefälle erwarteten. Mit Seilzugbremsen und der Kenntnis, dass ein Zweitaktmotor alles kann, nur nicht bremsen, war ich zur Vorsicht gemahnt und ging die Sache mit Bedacht an. Die vier Trommeln boten allerdings noch Reserven und hätten auch eine beherztere Talfahrt vertragen. Nur: man soll ja nichts übertreiben!
Mittlerweile war es schon eine Jacke kälter geworden, und ich begann den Entschluss zu bereuen, im knappen Hemd offen zu fahren. Eisige Kühle umwehte bereits mein Genick. Oh, Du schöner We-he-he-sterwald...
Bald jedoch war ich an Siegen vorbei, die Reise ging weiter über Kreuztal Richtung Rothaargebirge, aber es wurde immer kälter. Anhalten und nach einer Jacke suchen? Keine Alternative für einen echten DKW-Fahrer, der das Ziel fest im Auge hat! Ein jeder Stopp würde Zeit kosten und weit konnte es nicht mehr sein. Ich war sowieso schon spät dran und der Sonnenuntergang nahte. Der kleine Zweitakter schnurrte wunderbar, und nach zwei Stunden und 50 Minuten waren 137 Kilometer bewältigt, problemlos mit einem 80 Jahre alten Auto.
Oktober
Am 01. Oktober begrüßten uns die "rothaarigen" Wettergötter nicht mit offenen Armen, sondern mit offenen Schleusen: es goss wie aus Eimern, und nicht nur das Verdeck meiner F5 Cabriolimousine hatte deutliche Schwächen offenbart: leicht am Hang geparkt bot die hölzerne Karosserie dem an sich wichtigsten aller Elemente an mehreren unbekannten Stellen ungehinderten Zugang.
Der Beifahrersitz war patschnass und die rechte Türinnenverkleidung durchweicht. Mein DKW hat in der Ausführung „Reichsklasse“, der Ausführung für den kleinen Mann, keine Heizung und kleine Lüftung. Wenn bei diesem Wetter die Scheiben beschlagen, würde die ohnehin schon lächerliche Rundumsicht dann komplett verwehrt sein und die Fahrt vom Erlebnis zum Wagnis befördert.
Meine Entscheidung, an der Ausfahrt zumindest nicht mit dem eigenen Auto teilzunehmen, sorgte zwar hier und da für Unverständnis und Kopfschütteln, wurde aber dennoch akzeptiert. Auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit wurde ich auf der Rückbank des F102 von Frank und Eva fündig. Unsere erste Zwischenstation führte uns in ein früheres Schieferbergwerk, das seit ungefähr 40 Jahren eine Kunstschmiede beherbergt.
Hier werden Bronze, Glas, Schaffenskraft und Handwerkskunst zu anspruchsvollen und beeindruckenden Schöpfungen kombiniert. In der weitläufigen Außenanlage lassen Skulpturen vielfältiger Art von den natürlichen Energien dieser Welt mit sich spielen: ein komplizierter Mechanismus an einem Stauwehr symbolisiert die Wasserkraft als frühe Antriebsquelle der Menschheit, ein Windrohr richtet sich nach der Windrichtung aus, und auf den goldgelb glänzenden Augen der Skulpturen von Insekten oder Amphibien hätte sich das Sonnenlicht gespiegelt, wenn sie sich denn hätte blicken lassen, die liebe Sonne...
Samstag - Duschvergnügen
Anschließend ging es weiter zu einem privaten Museumshof: Gerhard und Brigitte Kuss hatten 1992 einen verfallenen Bauernhof gekauft, restauriert und zu einem beeindruckenden Privatmuseum auf mehr als 3.600 m² Fläche gestaltet.
Kuss - Genuss
Die Begriffe, „Reizüberflutung“ und „Überdosierung“ erlangen bei Gerhard Kuss in Winkhausen völlig neue Wortbedeutungen: mehr als 100 Fahrräder, mehr als 100 Motorräder, Triebwerke, Einzelteile und ein Sammelsurium unzähliger weiterer Exponate und Kuriositäten überfordern jegliches Auffassungsvermögen.
Dies ist eines von der Sorte Museum, dass man so oft besuchen kann wie man will, immer wird sich noch ertwas entdecken lassen, was man beim letzen Mal übersehen hatte.
Die DKW Rennmaschine mit der Startnummer 120 habe einen Kompressor und laufe „wie verrückt“, erklärte der Sammler verschmitzt und zugleich beinahe regungslos.
Der „Herr der Dinge“, von Beruf Diplom-Ingenieur für Hochbau, erklärte seinen Besuchern mit sehr leiser Stimme und dezentem Stolz zu jedem Exponat sämtliche Details, bestritt in aller Bescheidenheit seine automobiltechnische Fachkompetenz und bezeichnete sich in seiner Eigenschaft als Bauingenieur scherzhaft als Hochstapler.
In Wahrheit hätte nur „Tiefstapler“ den Nagel auf den Kopf getroffen: die Sammlung historischer Schätze überraschte seine Besucher mit einer Reichweite von weit über hundert Jahren zurück in die Vergangenheit: die Brustleier in einer authentisch rekonstruierten Schreinerwerkstätte datiert von 1768, erste Motorräder stammen von Ende der 1890er Jahre, und ein Fahrrad mit einem hölzernen Rahmen und hölzernen Felgen verblüffte durch seinen bestechenden Zustand ebenso wie ein Fahrrad mit Kardanantrieb oder mehrere Zweiräder mit Frontantrieb. Die Masse der technischen Leckerbissen muss hier verschwiegen werden – ganz einfach aus Platzgründen.
Endlos reihten sich weitere Köstlichkeiten aneinander und entführten uns in immer neue Zeitkulissen wie auf der Theaterbühne der Industrie-geschichte:
Blechspielzeug wie das Arrangement eines Güterbahnhofs neben einer Eisenbahnschranke mit Beleuchtung mittels Glühlämpchen oder ein Lokschuppen, der von einem daneben sitzenden Plüschhund bewacht wurde.
Zum Abschied gab es – als Krönung – noch Einblicke in eine Garage mit einem Opel Kadett und in die Wirkungsstätte der Restauration, in der endlose Regale mit Ersatzteilen und weiteren Leckerbissen überfüllt waren.
Der Begriff „Sammlerleidenschaft“ musste ab sofort neu definiert werden, ein jeder konnte mit dem guten Gefühl scheiden, dass es bei ihm selbst noch gar nicht so schlimm sei.
nach der Ausfahrt
Am Hotel gibt es einen Hundezwinger, und der Züchter der schnellen Windhunde fand, dass seine Lieblinge unbedingt vor den schönen alten Autos posieren müssten - gerade in der Epoche unserer Oldtimer hätte sich diese Hunderasse ihrer größten Beliebtheit erfreut. Allerdings zeigten sich die Vierbeiner von den alten Wagen ziemlich gelangweilt und interessierten sich eher für andere Dinge.
Sonntag
Prinzen - Rolle
Am Sonntag zeigte sich das Wetter etwas besser, und es stand ein Besuch im Schloss Berleburg auf dem Programm. Dessen Hausherr ist Prinz Casimir, mit vollem Namen heißt der adlige Familienvorstand Richard-Casimir Karl August Robert Konstantin Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg – die Visitenkarte haben wir nicht gesehen, sie dürfte wohl mindestens 15 Zentimeter lang sein.
Zuvor aber führte die Reise vom Hotel aus steile Serpentinen hinauf, die meinem kleinen DKW alles abverlangten. Als der Höhenzug endlich überwunden war, rollte die Kolonne der Schlossgeister hinab zu Tal und fand sich kurze Zeit später in Bad Berleburg im Schlosshof ein. Um den Kies im Innenhof nicht mit Öltropfen oder Fettklecksen zu verunreinigen, musste unter jedem der Wagen ein ungefährer Quadratmeter Wellpappe ausgelegt werden. Der Wind blies die Pappdeckel zwar immer gern unter den Autos weg, aber der gute Wille zählt!
Die nächste Etappe führte uns in „Holgers Garage“, eine Halle mit feinen alten Autos darin und anderen schönen Sammlerstücken. Nicht nur allesamt fein heraus geputzte und fahrfähige Autos gehören dazu, sondern auch eine kleine Autostraße aus Blech von der Spielzeugfabrik Schuco mit einem kleinen durch ein Uhrwerk angetriebenen Laster, der an einer Transmissionsschnur entlang läuft, einer Blechbrücke und Abzweigungen, oder ein paar Lokomotiven, einem sehr seltenen Triebwagen und D-Zugwagen der Marke Märklin aus dem Sortiment um das Jahr 1960 herum.
"Radiologie"
Anschließend ging die Tour weiter nach Bad Lasphe, um auf den Spuren von Maxwell, Hertz und Marconi alles zu erfahren, was wir schon immer von Funk- und Fernsehtechnik wissen wollten, aber nie zu fragen wagten. Im Mittelpunkt des Radiomuseums stand die Unterhaltungselektronik: Radios oder auf hochdeutsch „Rundfunkempfänger“, Schallplatten und deren Abspielgeräte, Lautsprecher mit dem Aussehen kleiner Posaunen und natürlich auch Fernsehempfänger. Alles längst von Satellitenschüsseln, Smartphones, WLAN oder Bluetooth zum alten Eisen befördert. Auch ein Autoradio war ausgestellt, und das Bediengerät sah schon sehr nach dem aus, was bis in die 1980er Jahre das typische Gesicht eines Autoradios ausmachte und von einer DIN-Norm geregelt war.
Anschließend verließen wir nicht nur die Radio- und Fernsehtechnik, sondern auch Bad Lasphe und machten uns allmählich auf den Heimweg.